Sexuelle Aktivität auch im Alter?

zusammengefasst von Soumaya Mouhsine         

 

Sexualität ist ein heikles Thema in unserer Gesellschaft. Die Aufklärung darüber wird zwar mittlerweile ernst genommen und auch der Austausch über Sexualität wird immer offener. Allerdings bezieht sich das nicht auf Sexualität und Intimität im höheren Erwachsenenalter.

Laut der Weltgesundheitsorganisation ist Sexualität ein vielschichtiges Phänomen, das Geschlecht, Geschlechtsidentitäten und -rollen, sexuelle Orientierung, Erotik, Vergnügen, Intimität und Fortpflanzung beinhaltet. Sexualität wird in Gedanken, Fantasien, Wünschen, Überzeugungen, Einstellungen, Werten, Verhaltensweisen, Praktiken, Rollen und Beziehungen erlebt und ausgedrückt. Sexualität kann all diese Dimensionen umfassen, muss es aber nicht.  

Karolina Kolodziejczak und Kolleg*innen, Wissenschaftler*innen aus Berlin, haben ca. 2000 Menschen im Alter von 22-36 Jahren und 60-82 Jahren zu ihrer sexuellen Aktivität, zu ihren sexuellen Gedanken und zu ihrer Intimität befragt. Die Wissenschaftler*innen haben sich dazu entschieden, die Erwachsenen zusätzlich nach ihren individuellen soziodemografischen, körperlichen und psychosozialen Situationen zu befragen, um Sexualität als vielschichtiges Phänomen besser zu verstehen. 

In der Vergangenheit haben sich Studien über Sexualität im Alter hauptsächlich auf die sexuelle Aktivität und das sexuelle Interesse konzentriert. Die Wissenschaftler*innen wollten einen Schritt weiter gehen und Sexualität in unterschiedlichen Facetten untersuchen. Besondere Aufmerksamkeit sollte vor allem sogenannten „Schlüsselkomponenten“ der Sexualität geschenkt werden: 1) Das Verhalten, also z.B. sexuelle Verhaltensweisen und Praktiken, 2) der Geist, also z.B. sexuelle Gedanken und Wünsche und 3) die Emotionen, also z.B. das Gefühl der Sicherheit und Akzeptanz.

Die Wissenschaftler*innen gingen davon aus, dass verschiedene Faktoren, wie Bildung, körperliche Gesundheit oder das soziale Umfeld, das Leben und Erleben der Sexualität bis ins hohe Alter beeinflussen.

Die Ergebnisse sind eindrucksvoll: Das Alter und das bei der Geburt zugewiesene Geschlecht stehen mit der gelebten Sexualität im Zusammenhang, Bildung allerdings nicht. Spannend ist, dass die körperliche Gesundheit nur selten der Grund für geringere sexuelle Aktivität oder Gedanken sind. Stattdessen scheinen soziale Merkmale, wie etwa Beziehungsstatus, - dauer und -zufriedenheit zentral. Ein Gefühl von Einsamkeit stand mit einer geringeren sexuellen Aktivität und Intimität in Beziehung, aber nicht mit der Häufigkeit sexueller Gedanken. Dagegen ist eine längere Beziehungsdauer mit weniger sexueller Aktivität und weniger sexuellen Gedanken, aber nicht mit Unterschieden der Intimität verbunden. Ist man mit seiner Beziehung zufrieden, ging das mit einem höheren Maß an sexueller Aktivität, sexuellen Gedanken und Intimität einher. Dennoch ist klar, wenn schwerwiegende Krankheiten zugrunde liegen, kann das Sexleben bzw. die sexuelle Zufriedenheit gänzlich beeinflusst bzw. eingeschränkt sein.

Festzuhalten gilt, dass ältere Erwachsene grundsätzlich seltener sexuell aktiv sind oder sexuelle Gedanken haben. Das lässt sich aber nicht von der dritten Schlüsselkomponente „Intimität“ behaupten, denn hier sind sich beide Altersgruppen ungefähr einig. Dennoch ließ sich feststellen, dass sich ältere Erwachsene mehr sexuelle Aktivität wünschen, als sie tatsächlich haben.

Des Weiteren schauten die Wissenschaftler*innen sich emotionale Aspekte der Sexualität an. Sie definierten Sexualität als ein Gefühl von Sicherheit und Akzeptanz, welches dazu beiträgt, grundlegende Bedürfnisse nach Bindung zu befriedigen. Die Ergebnisse stimmen gut mit der Definition der Wissenschaftler*innen überein. Bindung und damit einhergehende Gefühle von Sicherheit und Akzeptanz blieben über die gesamte Lebensspanne hinweg bestehen und - im Vergleich zu anderen „Schlüsselkomponenten“ der Sexualität – traten im Alter, wenn sexuelle Aktivität und sexuelles Verlangen an Intensität verlieren, noch stärker hervor.

Während ihrer Arbeit stellten die Wissenschaftler*innen allerdings fest, dass die Erkenntnisse und Zahlen, die sie durch diese Studie ermittelt haben, mit früheren Studien in Konflikt stehen. Das hat unter anderem den Grund, dass z.B. „sexuelle Aktivität“ ein sehr weit gefasster Begriff ist und sich sehr unterschiedlich definieren lässt.

In Anbetracht der abnehmenden sexuellen Aktivität und sexuellen Gedanken bei älteren Erwachsenen, nimmt unabhängig davon das Gefühl der Intimität zu. Für die künftige Forschung würde es aufschlussreich sein, die zeitliche Dynamik zwischen den drei „Schlüsselkomponenten“ der Sexualität zu untersuchen. Also wie und vor allem wann sich die sexuelle Aktivität, die sexuellen Gedanken und das Gefühl von Intimität mit zunehmendem Alter verändern und, ob und durch welche Interventionen diese beeinflusst werden könnten.

Letztendlich sollte festgehalten werden, dass Sexualität ein Lebensthema ist, welches immer im Fluss ist. Es ist sehr individuell und kann auf sehr vielen verschiedenen Ebenen gelebt, erlebt und wahrgenommen werden.

 

Kolodziejczak, K., Rosada, A., Drewelies, J., Düzel, S., Eibich, P., Tegeler, C., Wagner, G. G., Beier, K. M., Ram, N., Demuth, I., Steinhagen-Thiessen, E., & Gerstorf, D. (2019). Sexual activity, sexual thoughts, and intimacy among older adults: Links with physical health and psychosocial resources for successful aging. Psychology and aging34(3), 389–404. doi.org/10.1037/pag0000347

 Podcast: Sexuelle Aktivität auch im Alter?


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