Das eigene Leben als Heldenreise begreifen

zusammengefasst von Caroline Adam und Alexa Müllner-Huber

 

Wir alle wünschen uns, dass das eigene Leben bedeutsam ist und Sinn ergibt. Die Schaffung und Aufrechterhaltung dieses Gefühls von Bedeutsamkeit ist eine zentrale Voraussetzung für ein glückliches Leben. Die Interpretation und Deutung des eigenen Lebens hat Einfluss darauf, welche Geschichten wir über unser Leben erzählen. Dies spiegelt sich auch in den Märchen und Erzählungen wider, welche Menschen von jeher verwenden, um gesellschaftlich wichtige Werte und Themen an nachfolgende Generationen weiterzugeben.

Eine der am weitesten verbreiteten und seit Jahrtausenden existierenden Geschichten ist das Narrativ der Heldenreise (englisch: Hero‘s Journey), das sich auch in modernen Erzählungen wie „Harry Potter“ oder „Der Herr der Ringe“ wiederfindet, und in dem ein:e Protagonist:in Widrigkeiten trotzt und sich in eine:n Helden:in verwandelt.

Das Narrativ der Heldenreise beschreibt zahlreiche Eigenschaften und Verhaltensweisen, welche laut aktueller psychologischer Forschung zu Sinnhaftigkeit und Lebenszufriedenheit beitragen können, wie zum Beispiel Selbstbestimmung, das Verfolgen von Zielen, Offenheit für Veränderungen, sich von anderen helfen lassen, dass man Krisen überwindet und daraus als Mensch wächst, und dass man die eigene Lebenserfahrung nutzt, um anderen Menschen zu helfen und der Gesellschaft zu dienen. Darüber hinaus verbindet die Heldenreise all diese Elemente in einem kohärenten Erzählbogen, welcher Menschen als Vorbild dienen könnte, um scheinbar zusammenhangslosen und schmerzhaften Lebensereignissen einen sinnvollen Rahmen zu geben und dadurch das eigene Leben als bedeutsam begreifen zu können.

Basierend auf diesen Überlegungen haben sich Benjamin Rogers von der Universität von North Carolina und seine Kolleg:innen daher die Frage gestellt, ob Menschen mehr Bedeutsamkeit und Zufriedenheit im Leben erlangen können, wenn Sie die eigene Lebensgeschichte als Heldenreise interpretieren. In einer Serie von acht Experimenten konnten die Autor:innen zeigen, dass dies tatsächlich der Fall ist.

Zunächst entwickelten die Autor*innen einen Fragebogen – die „Hero’s Journey Scale“ –  um erheben zu können, in welchem Ausmaß verschiedene Menschen den typischen Erzählbogen der Heldenreise in der eigenen Lebensgeschichte wiedererkennen, wie sehr sie also ihr eigenes Leben als Heldenreise wahrnehmen. Zu diesem Zweck unterteilten die Autor:innen die Heldenreise in sieben Schlüsselelemente: (1) Ein:e Protagonist:in erlebt eine (2) Veränderung in seinen Lebensumständen, die dazu führt, dass er:sie auf eine (3) Reise geht, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen oder ein Problem zu lösen. Auf dieser Reise wird er:sie von (4) Verbündeten unterstützt und muss sich (5) Herausforderungen stellen. Durch die Bewältigung dieser Herausforderungen durchläuft der:die Held:in eine (6) persönliche Entwicklung (Transformation) und hinterlässt (7) ein positives Vermächtnis, d.h. er:sie hat eine bleibende positive Auswirkung auf die Mitmenschen.

Mithilfe dieses Fragebogens konnten die Autor:innen in einer repräsentativen Stichprobe von 640 Amerikaner:nnen zeigen, dass Menschen, die die Elemente der Heldenreise in der eigenen Lebensgeschichte wiedererkennen, auch mehr Sinn im Leben und höhere Lebenszufriedenheit empfinden. In zwei weiteren Experimenten wurden insgesamt circa 500 Teilnehmer:innen gebeten, kurz die eigene Lebensgeschichte zu erzählen, und mehrere unabhängige Beurteiler:innen analysierten diese Erzählungen in Hinblick auf die Erwähnung von typischen Elementen der Heldenreise. Auch in diesen Experimenten bestätigte sich, dass Menschen, die das eigene Leben im Sinne einer Heldenreise begreifen, mehr Sinn im Leben und höhere Lebenszufriedenheit empfinden.

Aufbauend auf diesen Ergebnissen entwickelten die Autor:innen eine Intervention, bei der die Teilnehmer:innen angeleitet wurden, die Ereignisse des eigenen Lebens als Heldenreise umzuinterpretieren. Es zeigte sich, dass die Intervention zu einer Erhöhung der erlebten Bedeutsamkeit führte, indem sie Menschen dazu anregte, über wichtige Elemente ihres Lebens nachzudenken und sie zu einer kohärenten und fesselnden Erzählung zusammenzufügen. Weiters führte die Intervention zu einer Erhöhung der Widerstandsfähigkeit (Resilienz) im Umgang mit persönlichen Problemen, indem sie den Teilnehmenden half, einen positiveren Sinn in ihren persönlichen Problemen zu finden. Diese Fähigkeit der positiven Umdeutung von negativen Lebensereignissen gilt als Schlüsselfacette hoher psychologischer Widerstandsfähigkeit (Resilienz).

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Interpretation und Umdeutung des eigenen Lebens im Sinne einer Heldenreise uns dabei helfen kann, Sinn im Leben und Lebenszufriedenheit zu fördern und unsere Widerstandsfähigkeit im Umgang mit Herausforderungen und Krisen zu stärken.

Rogers, B., Chicas, H., Kelly, J., Kubin, E., Christian, M., Kachanoff, F., Berger, J., Puryear, C., Mcadams, D., & Gray, K. (2023). Seeing your life story as a Hero’s Journey increases meaning in life. Journal of Personality and Social Psychology. Advance online publication. https://doi.org/10.1037/pspa0000341

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