Die heilende Berührung

zusammengefasst von Jana Nikitin

 

Wir leben in einer Zeit, in der soziale Interaktionen erheblich eingeschränkt sind und in der vom körperlichen Kontakt ausdrücklich abgeraten wird. Mit unseren Liebsten kommunizieren wir oft nur aus Distanz. Mittlerweile haben wir uns daran sogar teilweise gewöhnt. Reicht aber diese Kommunikation ohne Umarmungen, Händehalten oder sonstige körperliche Nähe für unsere Gesundheit?

Frühere Studien weisen darauf hin, dass körperliche Nähe und Berührungen Stress reduzieren, den Selbstwert stärken und das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten erhöhen, mit schwierigen Situationen umzugehen. Obwohl es nahe liegt, dass körperliche Nähe und Berührungen vor allem zwischen Menschen ausgetauscht werden, die sich gut kennen, haben auch Berührungen von nicht nahen Menschen positive Effekte. So wiesen zum Beispiel Patient*innen, die vom Pflegepersonal häufig berührt wurden, weniger Schmerzen, niedrigeren Blutdruck, eine verbesserte Atemfrequenz und besseren Schlaf auf. Und sogar eine kurze Berührung der Schulter von der Studienleitung hat dazu geführt, dass Studienteilnehmende im Vergleich zu einer Gruppe ohne Berührung in einem Fragebogen weniger Angst vor dem Tod berichteten. Es spricht also vieles dafür, dass menschliche Berührung förderlich für unser Wohlbefinden ist und dass sie uns in schwierigen Situationen helfen kann. Kann sie aber auch unsere Gesundheit beeinflussen?

Diese Frage haben die Forscherinnen Patricia Thomas und Seoyoun Kim anhand einer national repräsentativen Langzeitstudie, die in den Vereinigten Staaten durchgeführt wurde, untersucht. Die Daten wurden in einem Abstand von fünf Jahren gesammelt. Analysiert wurden Daten von 1'124 Personen, die 60 Jahre oder älter waren. Als Gesundheits- bzw. Krankheitsindikator dienten den Forscherinnen chronische Entzündungswerte, die sie mittels Blutproben der Teilnehmenden gemessen haben. Chronische Entzündung ist unterschwellig und ein wichtiger Indikator geschwächter Gesundheit. Entsprechend geht chronische Entzündung mit einer höheren Wahrscheinlichkeit für virale Infektionen, Herzinfarkt, Schlaganfall und Sterblichkeit einher.

Die Häufigkeit der körperlichen Kontakte wurde in der Studie von den Teilnehmenden selbst berichtet. Sie gaben an, wie oft sie in den letzten 12 Monaten eine Interaktion mit ihrem romantischen Partner oder ihrer romantischen Partnerin und/oder anderen Erwachsenen (Familienmitgliedern, Nachbar*innen und Freund*innen) hatten, die Berührung (z.B. Umarmung, Kuss oder Schulterklopfen) beinhaltete. Die Teilnehmenden antworteten auf einer Skala, die von «nie» bis «mehrmals pro Woche» reichte.

Die Ergebnisse waren eindeutig. Häufigere Interaktionen mit Berührung, die beim ersten Messzeitpunkt berichtet wurden, senkten die Wahrscheinlichkeit erhöhter chronischer Entzündungswerte fünf Jahre später um 14%. Dies verdeutlicht die Langzeitwirkung von körperlicher Nähe und Berührung auf die Gesundheit. Wichtig war, dass die Entzündungswerte zum ersten Messzeitpunkt nicht die Häufigkeit körperlicher Berührung fünf Jahre später vorhergesagt haben, was darauf hinweist, dass die Wirkungsrichtung von Berührung zu Gesundheit und nicht umgekehrt verläuft.

Obwohl die meisten älteren Erwachsenen nahe Personen um sich haben, lebt etwa ein Viertel der Menschen über 65 Jahre alleine. Wir sollten im Kopf behalten, welche positive Wirkung es bereits haben kann, die Hand des anderen kurz zu halten oder seinen Arm zu berühren. Und wenn gerade das jetzt ganz schwierig sein sollte, kann bereits die Berührung der eigenen Handfläche positive Signale im Gehirn auslösen, wie eine andere Studie fand.

 

Thomas, P. A., & Kim, S. (2021). Lost touch? Implications of physical touch for physical health. The Journals of Gerontology: Series B, 76(3), e111–e115. doi.org/10.1093/geronb/gbaa134

 Podcast: Die heilende Berührung


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