Die innere Stärke älterer Menschen im Umgang mit Krankheit und Tod

zusammengefasst von Fiona Rupprecht

 

Einer der zentralsten Befunde der Psychologie des Alterns ist, dass es alten Menschen oft sehr gut geht, dass sie glücklich und zufrieden sind mit ihrem Leben und das trotz Erkrankungen, Einschränkungen und Verlusterfahrungen. Hierfür gibt es verschiedene Erklärungsansätze: Zum Beispiel, dass ältere Menschen sich auf Positives statt auf Negatives konzentrieren, dass sie weniger Konflikte haben und mit kleineren, alltäglichen Problemen häufig besser umgehen können als jüngere Menschen. In der skandinavischen Studie von Kerstin Viglund und Kolleg*innen, die wir heute präsentieren, geht es um einen weiteren Erklärungsansatz für das hohe Wohlbefinden älterer Menschen, nämlich deren innere Stärke.

Innere Stärke bezeichnet die Fähigkeit, trotz Krankheit, Todesfällen und anderen Verlusten positiv auf das Leben zu blicken. In zahlreichen Gesprächen mit älteren Menschen stellte sich heraus, dass sich diese innere Stärke aus vier Komponenten zusammensetzt: Die erste Komponente ist die Beständigkeit der eigenen Werte und der eigenen Person, dass man also weiß, was einem wichtig ist und wofür man Verantwortung übernimmt. Die zweite Komponente ist Kreativität, gerade im Umgang mit Schwierigkeiten. Kreativität kann helfen, Schwierigkeiten offener gegenüber zu stehen und leichter Wege zu finden, mit diesen umzugehen. Die dritte Komponente ist Verbundenheit mit anderen Menschen, also das Gefühl, zu einer Familie, einem Freundeskreis, einer Nachbarschaft dazuzugehören, Hilfe zu geben, aber auch Hilfe annehmen zu können. Die vierte Komponente schließlich ist Flexibilität, das heißt, verschiedene Blickwinkel einnehmen und Veränderungen akzeptieren zu können.

Wenn eine Person also Beständigkeit, Kreativität, Verbundenheit und Flexibilität mehr oder weniger stark zeigt, würden die Autor*innen von innerer Stärke sprechen. In qualitativer Forschung, also Forschung die auf vertieften Gesprächen mit älteren Menschen aufbaut, findet sich innere Stärke bis in das höchste Alter hinein und gerade auch bei Menschen, die viele Verluste erlebt haben. In der Studie, die wir heute präsentieren, soll dies auch über die Zeit gezeigt werden. Die Frage ist, ob die innere Stärke älterer Menschen tatsächlich zunimmt, nachdem sie mit eigenen Krankheiten oder Krankheiten eines Verwandten konfrontiert waren oder Familienmitglieder und Freund*innen verloren haben. Ferner wurde untersucht, ob innere Stärke über die Zeit zu einem höheren Wohlbefinden und einer besseren körperlichen Gesundheit beitragen kann.

Die Daten, mit denen diese Fragestellungen untersucht wurden, stammen von ca. 4000 Personen aus Schweden und Finnland, die zwischen den Jahren 1930 und 1945 geboren sind. Die Personen haben zweimal an der Studie teilgenommen, einmal im Jahr 2010 und einmal im Jahr 2016, um Veränderungen in innerer Stärke, im Wohlbefinden und in der körperlichen Gesundheit abbilden und prüfen zu können.

In der Tat zeigte sich, dass ältere Menschen, die Verluste—insbesondere schwere Erkrankungen und Todesfälle—erlebt hatten, ihre innere Stärke ausbauten. Im Angesicht dieser negativen und schmerzvollen Erfahrungen, gelang es älteren Menschen demnach beständiger, kreativer, verbundener und flexibler zu werden. Auch konnte gezeigt werden, dass innere Stärke über die Zeit zu einem höheren Wohlbefinden und niedrigerer Depressivität beiträgt, dass ältere Menschen also ganz deutlich aus ihrer inneren Stärke schöpfen und von ihr profitieren können. Im Gegensatz dazu – und anders als erwartet – hatte innere Stärke keine positiven Auswirkungen auf die körperliche Gesundheit.

Was sagen uns nun diese Ergebnisse? Zum einen, dass sich innere Stärke auch im Angesicht von schwierigen Lebensphasen und großen Verlusten entwickeln kann. Und zum anderen, dass diese innere Stärke wichtig ist und dass sie dabei hilft, auch im hohen Alter glücklich und zufrieden zu sein. Als Familienmitglieder, Freund*innen und Pflegende können wir dabei auch die innere Stärke anderer Personen unterstützen. So können wir etwa Verbundenheit herstellen und nicht alleine, sondern gemeinsam versuchen, Verlusten mit kleinen Schritten und einer Spur Kreativität zu begegnen.

 

Viglund, K., Olofsson, B., Lundman, B., Norberg, A., & Lövheim, H. (2021). Relationships among inner strength, health and function, well-being, and negative life events in old people: A longitudinal study. European Journal of Ageing. Advance online publication. doi.org/10.1007/s10433-021-00642-6

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