Ist das Alter zur Zeit des Verlusts von Ehepartner*innen relevant für die eigene kognitive Funktion?

zusammengefasst von Lisa Heilig

Die Auflösung einer Ehe, etwa durch Scheidung und Verwitwung, ist ein einschneidendes Lebensereignis. Dementsprechend kann sie auch negative Folgen haben: Bisherige Studien zeigen, dass Scheidungen und Verwitwungen mit einer niedrigeren kognitiven Funktion und einem höheren Risiko für kognitive Schädigungen zusammenhängen. Zu den kognitiven Funktionen gehören die Aufnahme und Verarbeitung von Informationen, Denken, Schlussfolgern und das Planen und Steuern von Bedürfnissen des täglichen Lebens. Es handelt sich also um Schlüsselfähigkeiten für ein produktives und unabhängiges Leben.

Unklar ist bisher, inwiefern der Zeitpunkt des Partnerverlustes eine Rolle spielt. Die sogenannte Lebensspannenperspektive geht davon aus, dass der Zeitpunkt eines Ereignisses beeinflusst, wie stark es sich auf verschiedene Bereiche des Lebens auswirken kann. So können Ereignisse on-time geschehen, also dann, wann sie erwartet werden oder gewöhnlicherweise passieren, oder off-time, zu unerwarteten Zeitpunkten, also früher oder später als gedacht. Ereignisse, die off-time passieren, werden als stressiger wahrgenommen und haben mehr negative Konsequenzen.

Ausgehend von dieser Theorie widmeten sich die Forscher*innen Zhang, Liu und Zhang der Aufgabe, herauszufinden, ob das Alter zur Zeit einer Scheidung oder Verwitwung Einfluss auf kognitive Funktionen im späteren Leben hat. Sie untersuchten zusätzlich, inwiefern dieser Zusammenhang von wirtschaftlichen Mitteln und gesundheitlichen Faktoren abhängt und ob es Unterschiede unter Frauen und Männern gibt.

Dafür zogen die Forscher*innen die Daten der Health and Retirement Study (HRS) der Universität Michigan aus den Jahren 1998 bis 2016 heran. Diese Studie erfragt kognitive, körperliche, wirtschaftliche, berufliche und familiäre Umstände sowie gesundheitliche Verhaltensweisen Erwachsener über Telefon oder persönliche Interviews. Für die Erhebung kognitiver Funktionen mussten die Teilnehmer*innen mehrere Aufgaben erfüllen: Sie mussten zehn Wörter lernen und sie unmittelbar danach sowie zeitverzögert abrufen, von 20 an rückwärts zählen und von 100 an in Siebener-Schritten rückwärts zählen. Um mehr über die Gesundheit zu erfahren, wurden Rauchverhalten, chronische Erkrankungen, depressive Symptome und psychiatrische Probleme erfasst. Ebenfalls für die Studie der Forscher*innen relevant waren die Daten zum Haushaltseinkommen der Teilnehmer*innen. Für die Studie herangezogen wurden die Daten von 10 685 geschiedenen und 5  639 verwitweten Personen ab 51 Jahren.

Die Auswertung der Daten zeigte größere kognitiven Einbußen, wenn man jünger verwitwete. Dafür verantwortlich sind zum Teil das geringere Haushaltseinkommen, das jünger verwitwete Personen aufweisen, und gesundheitliche Faktoren: Personen, die jünger verwitweten, rauchten eher und litten eher unter chronischen Krankheiten.

Im Falle der Scheidung zeigten sich nur für Männer größere kognitive Einbußen bei jünger Geschiedenen im Vergleich zu älter Geschiedenen. Einkommen war hierfür kein relevanter Faktor, eine Scheidung dürfte weniger Einfluss auf das Einkommen von Männern als auf das von Frauen haben. Gesundheitliche Faktoren hingegen spielten eine Rolle: Jünger Geschiedene zeigten mehr depressive Symptome und chronische Erkrankungen und rauchten eher als älter Geschiedene, alles Faktoren, die sich negativ auf die kognitive Funktion auswirken.

Die Forscher*innen hoffen, dass diese Ergebnisse bei Interventionen zur Unterstützung eines gesunden kognitiven Alterns helfen, insbesondere für diejenigen, die in jüngeren Jahren einen Eheverlust erlitten haben.

 

Zhang, Z., Liu, H., & Zhang Y. (2022). Marital loss and cognitive function: Does timing matter? Journals of Gerontology: Series B, 77(10), 1916 – 1927. https://doi.org/10.1093/geronb/gbac069

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