Kann die Pflege eines Angehörigen auch positiv erlebt werden?

Zusammengefasst von Christina Ristl

Kann die Pflege eines Angehörigen auch positiv erlebt werden?

Ein Blick auf die Internet-Suchergebnisse zum Thema "Pflegende Angehörige" verdeutlicht, dass die gesellschaftliche Diskussion über familiäre Pflege größtenteils negativ geprägt ist und positiven Aspekten kaum Beachtung geschenkt wird. Während familiäre Pflege überwiegend als gesundheitlich und emotional belastend dargestellt wird, deuten neuere Studien darauf hin, dass sie positive Auswirkungen auf die Gesundheit, Lebensdauer und das Wohlbefinden haben kann. Doch wie lassen sich diese doch widersprüchlichen Ergebnisse erklären? Ist die Pflege an sich belastend oder gibt es andere Gründe für negative Pflegeerfahrungen?

Diese Fragen hat Sae Hwang Han, Assistenzprofessor an der Fakultät für Entwicklungspsychologie und Familienwissenschaften der Universität Texas, untersucht. Han wollte herausfinden, ob erwachsene Kinder, die sich um ihre Mutter kümmern, häufiger depressive Symptome zeigen als jene, die keine pflegebedürftige Mutter haben oder die Pflege nicht selbst übernehmen. Die Untersuchung basierte auf Daten der Health and Retirement Study, einer repräsentativen Studie in den USA, die seit 1992 alle zwei Jahre Menschen zu ihrem Leben befragt. Die Studie umfasste 4.812 erwachsene Kinder über 50, die ihre Mutter pflegten. Zu Beginn der Studie waren die Mütter etwa 82 Jahre alt, wobei 15 % eine Demenz, 15 % eine leichte Behinderung und 10 % eine schwere Behinderung hatten.

Die zentrale Erkenntnis der Studie lautet, dass nicht die Pflege selbst zu depressiven Gefühlen bei den pflegenden Angehörigen führt, sondern die Tatsache, dass ein geliebter Mensch schwer krank ist. Wie erwartet, zeigten Personen ohne Pflegefall in der Familie die geringsten depressiven Symptome. Jedoch berichteten Kinder, die sich um ihre Mutter kümmerten, von weniger depressiven Symptomen als Kinder mit einer pflegebedürftigen Mutter, die nicht selbst pflegten. Hwang Han erklärt dies damit, dass es prinzipiell besser sei, keine ernsten Krankheiten in der Familie zu erleben. Kommt es nun aber doch zu einer schweren Erkrankung im familiären Umfeld, sind Angehörige immer belastet. Unabhängig davon, ob man pflegt oder nicht, führt ein Krankheitsfall zu Sorgen und getrübter Stimmung. Pflegende Angehörige haben jedoch die Möglichkeit, einen sinnvollen Beitrag zu leisten, indem sie lebensnotwendige Unterstützung bieten. Dies wird als sinnstiftend erlebt, schafft ein Gefühl von Kontrolle und mildert dadurch negative Emotionen.

Wie viele andere Forschungsarbeiten zeigt auch diese Studie, dass die Pflege als Tätigkeit positive Auswirkungen haben kann. So können negative Folgen schwerer Krankheitsfälle in der Familie durch die Möglichkeit der Pflege gemildert werden. Dies bedeutet jedoch nicht, dass die Herausforderungen und Belastung von pflegenden Angehörigen verharmlost werden sollten. Überlastung und Verstimmungen müssen ernst genommen und professionelle Unterstützung gefunden werden. Eine ausgewogene Berichterstattung über die negativen, aber eben auch positiven Aspekte familiärer Pflege könnte dazu beitragen, die Tätigkeit in ein freundlicheres Licht zu rücken und mehr Zuversicht schaffen für (potentiell) Pflegende aber auch Gepflegte.

 

Quelle: Han, S. H. (2023). Revisiting the caregiver stress process: Does family caregiving really lead to worse mental health outcomes?. Advances in Life Course Research, 58, 100579. https://doi.org/10.1016/j.alcr.2023.100579

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