Verändert Einsamkeit unseren Blick auf die Welt?

zusammengefasst von Christina Ristl

 

Die meisten Menschen kennen das schmerzvolle Gefühl der Einsamkeit. Es beschreibt unter anderem das subjektive Gefühl, nicht dazuzugehören, und das Vermissen einer tieferen Verbindung zu anderen Menschen. Tatsächlich erlebt jeder Mensch mindestens einmal in seinem Leben Einsamkeit und sie kann grundsätzlich in jedem Alter und in jeder Lebenssituation entstehen. An sich hat das Gefühl der Einsamkeit auch etwas Gutes an sich. Denn auch wenn Einsamkeit schmerzvoll ist, stellt sie dennoch ein wichtiges Warnsignal für uns dar. Einsamkeit warnt uns, wenn wir den Kontakt zu anderen Menschen verlieren und fordert uns auf, aktiv zu werden. Problematisch ist Einsamkeit dann, wenn es zu einem häufigen oder gar dauerhaften Zustand kommt. Ab diesem Zeitpunkt sollte man sich professionelle Hilfe, zum Beispiel eine psychologische Beratung, suchen, denn chronische Einsamkeit macht nicht nur unglücklich, sondern auch körperlich und psychisch krank.

Häufig wird Einsamkeit damit beschrieben, sich von den Mitmenschen nicht verstanden zu fühlen und das Gefühl zu haben, von der Gemeinschaft ausgeschlossen zu sein. Tatsächlich deuten Forschungsergebnisse darauf hin, dass es einen Zusammenhang zwischen Einsamkeit und dem Empfinden gibt, von anderen Personen nicht verstanden zu werden. Ist es jedoch so, dass einsame Personen die Welt tatsächlich anders wahrnehmen als ihre Mitmenschen?

Dieser Frage widmete sich ein amerikanisches Forschungsteam rund um Elisa Baek von der University of California in Los Angeles. Sie befragten 66 Studierende im ersten Semester (darunter 41 Frauen) zwischen 18 und 21 Jahren über ihr subjektives Einsamkeitsempfinden. Danach folgte eine 90 Minuten lange Magnetresonanztomographie (MRT), in der die Hirnaktivität der Studierenden aufgezeichnet wurde, während sie sich 14 kurze Videoclips ansahen. Die Videos zeigten beispielsweise einen Astronauten, der über den Klimawandel diskutiert; ein sentimentales Musikvideo, das eine ausgeschlossene Person zeigt, die gerne Teil einer Gemeinschaft wäre; sowie die besten Szenen eines Fußballspieles. Um herauszufinden, ob sich die Hirnaktivität von einsamen Studierenden im Vergleich zu ihren Mitstudierenden unterscheidet, wurden die Hirnscans auf ihre Ähnlichkeit hin untersucht.

In der Tat zeigte sich, dass einsame Studierende die Videoclips auf andere Art und Weise wahrnahmen als ihre Kommilitonen dies taten. Und zwar nicht nur anders im Vergleich zu nicht-einsamen Studierenden, sondern auch zu anderen, sich ebenfalls einsam fühlenden Kommilitonen. Die Ergebnisse folgen dem Anna-Karenina-Prinzip, das sich auf das gleichnamige Buch von Tolstoy bezieht und mit dem Satz beginnt „Alle glücklichen Familien gleichen einander, jede unglückliche Familie ist auf ihre eigene Weise unglücklich.“  Die Ergebnisse sprechen also dafür, dass einsame Personen die Welt tatsächlich anders wahrnehmen als ihre Mitmenschen und das Gefühl des Nicht-verstanden-Werdens im wahrsten Sinne des Wortes zutrifft.

Unterschiede in der Hirnaktivität zeigten sich vor allem in Hirnabschnitten, die dem Belohnungssystem, dem Aufmerksamkeitszentrum und dem Default-Netzwerk zuzuordnen sind. Im sozialen Kontext wird das Default-Netzwerk in Verbindung gebracht mit Empathie, Reflexion der eigenen Gefühle und Interpretation der Gefühle anderer.  Eine mögliche Erklärung für die unterschiedliche Wahrnehmung der Welt könnte folglich sein, dass einsame Personen Ihre Aufmerksamkeit auf jene Umgebungsreize richten, die als weniger belohnend wahrgenommen werden. Werden dann äußere Reize mit einer negativen inneren Erfahrungswelt abgeglichen, wie zum Beispiel der Erinnerung an soziale Zurückweisung, kann das eine negative Gefühlsschleife begünstigen und zu Einsamkeit führen.

Doch ist diese Erkenntnis auch auf andere Personen (Nicht-Studierende) wie zum Beispiel ältere Menschen übertragbar? Für ein universelles Ergebnis spricht, dass andere Studien ebenfalls über Veränderungen im Default-Netzwerk und Belohnungssystem berichten. Studien, die Altersunterschiede gezielt in den Blick nahmen, fanden jedoch Veränderungen in der Wahrnehmung von Einsamkeit über die Lebensspanne. Einsame ältere Menschen scheinen, im Vergleich zu einsamen jüngeren Personen, beispielsweise vermehrt Areale des Default-Netzwerks zu verwenden, die mit der Vorstellung sozialer Interaktionen einhergehen wie z.B. dem Schwelgen in Erinnerungen. Die Erkenntnislage ist jedoch nicht eindeutig und der Zusammenhang zwischen Gehirn und dem Gefühl der Einsamkeit erweist sich als komplex. So gilt es auch zukünftig noch zu klären, inwieweit veränderte Gehirnstrukturen zu einem Einsamkeitsgefühl führen oder ob der umgekehrte Schluss zutrifft, also Einsamkeit unser Gehirn verändert.

 

Baek, E. C., Hyon, R., López, K., Du, M., Porter, M. A., & Parkinson, C. (2023). Lonely individuals process the world in idiosyncratic ways. Psychological Science, 0(0). https://doi.org/10.1177/09567976221145316

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