Vorsicht, G-Wort; Existieren Generationen wirklich? Warum das Konzept der Generation reif für das akademische Grab ist

Vorsicht, G-Wort; Existieren Generationen wirklich?

Warum das Konzept der Generation reif für das akademische Grab ist

Zusammengefasst von Artemis Nordmann

 

Seit ein paar Jahren wird in den Medien exzessiv das Thema Generationen behandelt, hier nur ein paar wenige Schlagzeilen Beispiele:

Bild: "Gen-Z-Bäckerei öffnet erst um 11 Uhr - ihrem Chef rennen Azubis jetzt die Bude ein"

SZ: "Junge Arbeitskräfte: Komme ich heute nicht, komme ich morgen"

SZ: "Nachfolger von Gen Z: Die sind ja noch schlimmer"


Das gesellschaftliche Phänomen der Generationen scheint momentan ein sprachliches und gedankliches Virus zu sein; jeder hat sich wohl mittlerweile einmal gefragt: bin ich Generation Boomer, X, Y, Z, oder Alpha? Und welche Charakteristiken werden meiner Generation zugeschrieben? Muss ich mich schämen, wenn ich beispielsweise definitionsgemäß ein Millenial bin – und typischerweise seit 2010 noch immer jeden Tag Avocado-Toast zum Frühstück genieße?

Einer Person bestimmte Charakteristiken zuzuordnen, weil sie einer Generation angehört, nennt man im Englischen „Generationalism“, was tatsächlich eine moderne Form der Altersdiskriminierung ist; Generationenbegriffe werden somit vor allem dafür verwendet, um eine Generation als unter- oder überlegen gegenüber einer anderen hervorzuheben; die Zuschreibungen werden mittlerweile so ernst genommen, dass sich beispielsweise auf institutioneller Ebene Unternehmen beraten lassen, wie sie am besten den Bedürfnissen der Generation ihrer Arbeitnehmer gerecht werden können; dies resultiert aus Vorurteilen wie: die Gen Z will eine 4-Tage-Woche, außerdem reagieren sie mit Heulkrämpfen auf 8-Stunden-Dienste (Constanza et al., 2023).

Es ist also weit verbreitet, Generationenbegriffe zu verwenden, um bestimmte Charakteristika, Motivationen oder Werte einer Gruppe von Menschen zuzuschreiben. Der Begriff „Generation“ kommt aus der psychologischen Forschung, in der strenggenommen von mehreren „Geburtenkohorten“ gesprochen wird. Geburtenkohorten sind Gruppen von Menschen, die alle im gleichen Kalenderjahr geboren wurden, beispielsweise alle Menschen mit dem Geburtsjahr 1980.
Generationen umfassen dagegen Menschen, die in einer Zeitspanne von circa 20 Jahren geboren wurden, also beispielsweise zwischen 1980 und 2000. Im Endeffekt sind Generationen also einfach mehrere Geburtenkohorten in einem Begriff (Constanza et al., 2023).

Was heute eine Generation ausmacht, hat sich seit den 50er Jahren zu drei Punkten herauskristallisiert: Erstens bezieht sich der Begriff „Generation“ auf eine Geburtenkohorte, die in etwa eine Zeitspanne von 20 Jahren umfasst. Zweitens sind diese Geburtenkohorten alle von bestimmten sozialen oder historischen Ereignissen betroffen gewesen, wie beispielsweise dem zweiten Weltkrieg, die so prägend gewesen sein sollen, dass sie die Werte, Überzeugungen und sogar die Persönlichkeiten dieser Gruppe besonders geformt haben sollen. Und drittens sollen diese Ereignisse vor allem im späten Jugendalter oder im frühen Erwachsenenalter dieser Generation stattgefunden haben, einem Zeitpunkt, in dem man aufgrund seiner Entwicklung besonders aufnahmefähig und formbar ist.

Zusammengefasst umfasst eine Generation also eine spezifische Zeitspanne, in der man geboren wurde, wie zum Beispiel 1980 bis 2000. Alle, die in diesem Zeitraum geboren wurden, sollen im späten Jugendalter oder jungen Erwachsenenalter die gleichen sozialen oder historischen Ereignisse erlebt haben, die sie besonders geprägt haben (Constanza et al., 2023).

Naja, und wo ist der Hacken? Die Definition weist leider Lücken auf; jede Generation soll gemeinsame Ereignisse haben, die sie besonders geprägt haben. Leider sind diese soziohistorischen Ereignisse zwischen den Generationen selten vergleichbar, da sie manchmal einen größeren, manchmal einen kleineren Einfluss hatten. Die Weltwirtschaftskrise kann in ihren Auswirkungen nicht mit dem Fall von Baby Jessica verglichen werden, einem Kind aus dem Bundesstaat Texas, das in einen Brunnen gefallen ist und in einer aufwendigen Rettungsaktion geborgen werden musste (tatsächlich soll Baby Jessica ein bezeichnendes Ereignis für die Generation X gewesen sein). Nun, wie kann es sein, dass die Tragweite der ausgewählten Ereignisse für bestimmte Generationen so variiert?

Dies ergibt sich ausfolgendem Problem: Häufig werden mehrere Geburtsjahrgangskohorten als Generation zusammengelegt, um dann im zweiten Schritt nach gemeinsam erlebten Ereignissen zu suchen (d.h. es wird verzweifelt nach Ereignissen gesucht, wie beispielsweise bei Baby Jessica, weil sie viel Medienaufmerksamkeit erlangte). Dies widerspricht jedoch der grundlegenden Idee von Generationen, die sich vor allem aus dem Erleben eines gemeinsamen Ereignisses im jungen Erwachsenenalter formen sollen.

Stattdessen konzentriert sich die Forschung oft darauf, zuallererst mehreren Geburtsjahrgangskohorten einen Namen zu geben, wobei Generationen sogar im Voraus ausgerufen werden, bevor sie im jungen Erwachsenenalter mit besonderen Ereignissen konfrontiert wurden Stichwort: Generation Alpha.

Ein weiteres Problem in der Definition von Generationen ist, dass soziale oder historische Ereignisse nicht nur die Menschen formen, die zum Zeitpunkt des Ereignisses im jungen Erwachsenenalter waren. Eine amerikanische Studie konnte als das einflussreichste Ereignis im Leben aller teilnehmenden Personen jeden Alters den 11. September ausmachen. Das bedeutet, dass unabhängig davon, welcher Generation man angehört, 9/11 am prägendsten war (Constanza et al., 2023).

Letztendlich fehlt auch in der Definition von Generationen die Tatsache, dass soziohistorische Ereignisse oft örtlich gebunden sind. Es macht wenig Sinn, Personen aus verschiedenen Ländern einer Generation zuzuordnen, da sie aufgrund ihres Lebensorts unterschiedliche Ereignisse erlebt haben. Viele Ereignisse, die als besonders prägend für eine Generation gelten, könnten ursächlich auf den Länderkontext verschoben werden. Die Zeitspanne, die eine Generation umfasst, muss ebenfalls nicht immer um die 22 Jahre sein (Constanza et al., 2023).

Die psychologische Forschung wollte das lückenhafte Generationenkonzept verbessern und kam zu dem Entschluss, dass es wenig, bis gar keine wissenschaftlichen Befunde zur Existenz von Generationen gibt. Alles, was wir mit dem Generationenbegriff begründen, kann tatsächlich auf die Kohorte, das Alter oder den Zeitgeist zurückgeführt werden (Constanza et al., 2023). Veranschaulichen wir es an einem Beispiel:

Man sagt, dass die Generation Z weniger Lust auf Arbeit hat als ihre Vorgänger. Dies könnte entweder am Einfluss gemeinsamer Ereignisse für diejenigen, die zum Beispiel 1995 geboren wurden, liegen - das wäre der Kohorteneffekt. Oder es könnte einfach an der Lebensphase liegen: Junge Menschen in ihren 20ern haben möglicherweise generell weniger Lust auf Arbeit als Ältere - das wäre der Alterseffekt. Und schließlich gibt es noch den Zeitgeist, also Periodeneffekt, der durch den Einfluss gesellschaftlicher oder historischer Ereignisse auf alle Altersgruppen entsteht. So könnte es sein, dass im Jahr 2024 der Zeitgeist dazu führt, dass Menschen aller Altersgruppen, nicht nur die Gen Z, weniger arbeiten möchten. Nun ist es leider statistisch nahezu unmöglich zu bestimmen, welcher dieser drei Effekte – Kohorten, Alters, oder Periodeneffekt wirklich die Ursache generationsspezifischer Zuschreibungen ist. Also, bevor wir die „Gen Z“ in eine Schublade stecken, müssen wir uns bewusst sein, dass die Realität komplexer ist als eine einfache Generationszuweisung (Constanza et al., 2023).

Nun stellt sich die Frage, weshalb sich der Generationenbegriff trotz der widersprechenden Forschung derzeit so erfolgreich in aller Munde befindet. Die sozial konstruktivistische Perspektive aus der Forschung fand drei Mechanismen, die diesen Verbreitungsprozess antreiben: Generationen existieren objektiv nicht, sondern werden gewissermaßen „herbeigewünscht“. Das Sprechen über Generationen versucht komplexe altersbezogene Unterschiede in sozialen Interaktionen zu erklären und greifbar zu machen.

Der Generationenbegriff selbst ist jedoch wissenschaftlich gesehen nicht der geeignete Ansatz dafür. Zudem wird das Phänomen der Generationen durch mediale, fehlerhafte wissenschaftliche und institutionelle Diskussionen lebendig gehalten, wodurch sich die soziale Konstruktion weiter verstärkt. Stereotype, also festgelegte Assoziationen zu bestimmten Generationen, können zu selbsterfüllenden Prophezeiungen werden: Möglicherweise übernimmt man bewusst oder unbewusst die zugeschriebenen Charakteristika tatsächlich – deshalb ist es unablässig, die Prozesse zu hinterfragen, welche den Generationenbegriff als Mythos immer weiterverbreiten lassen (Constanza et al., 2023).

Costanza, D. P., Rudolph, C. W. & Zacher, H. (2023). Are generations a useful concept? Acta Psychologica, 241, 104059. doi.org/10.1016/j.actpsy.2023.104059

 Podcast: Vorsicht, G-Wort; Existieren Generationen wirklich? Warum das Konzept der Generation reif für das akademische Grab ist.


Wo kann man den Podcast "Neues aus der Forschung" hören?

Unsere Beiträge können Sie sich bequem auf unserer Website, aber auch auf SpotifyiTunes und Soundcloud anhören!