Soll ich ungefragte Hilfe akzeptieren?
Soll ich ungefragte Hilfe akzeptieren?
zusammengefasst von Jana Nikitin
Eine ältere Dame mit Stock geht einkaufen. Am Straßenrand bleibt sie stehen und wartet, bis sie die belebte Straße überqueren kann. In dem Moment kommt ein Fußgänger, nimmt sie am Arm und bietet ihr an, sie über die Straße zu begleiten.
Viele von uns finden ein solches Hilfeangebot nett und würden vermutlich etwas über „grantige Alte“ denken, sollte die Dame das Angebot ablehnen oder den Fußgänger gar zurechtweisen. Doch so nett gemeint die angebotene Hilfe auch sein mag, sie ist beim näheren Betrachten ein Ausdruck von Altersdiskriminierung. Es gab nämlich im Verhalten der Dame keinerlei Hinweise darauf, dass sie auf Hilfe angewiesen wäre, noch hat sie um Hilfe gebeten.
Wenn älteren Menschen geholfen wird, obwohl sie nicht danach gefragt haben, sprechen wir von wohlwollender Altersdiskriminierung. Solche Hilfe ist bevormundend und sie wirkt sich negativ auf das Wohlbefinden und den Selbstwert von älteren Menschen aus. Die Diskriminierung kommt dabei nur subtil zum Ausdruck, indem Alter automatisch mit Schwäche und Hilfsbedürftigkeit in Verbindung gebracht wird.
Es ist sehr schwierig für ältere Menschen, ungefragte Hilfe abzulehnen, denn sie ist ja gut gemeint, und es gehört sich auch, „Schwächeren“ zu helfen. Wie also sollen ältere Menschen reagieren, wenn sie ungewollt Hilfe bekommen?
Genau mit dieser Frage beschäftigte sich eine kürzlich publizierte Studie. In einer großen Umfrage lasen Probanden die Geschichte einer älteren Dame mit Gehstock, der Hilfe von einem Fußgänger beim Straßenüberqueren angeboten wird. Einmal war das Hilfeangebot höflich formuliert („Dies ist eine viel befahrene Straße. Lassen sie mich Ihnen helfen, sie zu überqueren.“), einmal schroff („Dies ist eine viel befahrene Straße. Sie brauchen Hilfe, um sie zu überqueren!“.) Es kommt nicht überraschend, dass die höfliche Formulierung positiv bewertet wurde, während die schroffe Formulierung klar als übergriffig erkannt wurde.
Interessanter war, wie die Probanden die Reaktion der älteren Dame bewerteten. Wenn sie auf das schroffe Angebot des Fußgängers genauso schroff reagierte („Lassen Sei meinen Arm los! Ich komme alleine zurecht.“), wurde das von den Probanden als tendenziell negativ beurteilt. Positive Beurteilung gab es nur, wenn die Dame höflich die Hilfe des Fremden ablehnte („Danke, aber ich komme alleine zurecht.“).
Noch negativer war der Eindruck der Probanden, wenn die ältere Dame schroff auf ein höflich formuliertes Hilfeangebot reagierte. Eine höfliche Ablehnung brachte in diesem Fall auch keine Sympathie-Punkte, aber die Dame wurde zumindest als kompetent wahrgenommen.
Interessant war, dass auch wenn die Dame die angebotene Hilfe akzeptierte, es ihr einen negativen Eindruck bescherte. Das heißt, sowohl eine „Überreaktion“ (im Sinne einer schroffen Ablehnung) als auch die Akzeptanz der Hilfe wurden als negativ empfunden. Nur eine höfliche Ablehnung wurde zumindest als neutral angesehen.
Diese Ergebnisse zeigen, dass es für ältere Menschen schwierig sein kann, „richtig“ zu reagieren, wenn sie mit wohlwollender Altersdiskriminierung konfrontiert werden. Sowohl eine klare Ablehnung als auch das Erdulden kommen nicht positiv an. Eine höfliche Ablehnung bringt zwar auch keine Sympathie, aber sie wird als kompetent wahrgenommen und sie führt – wie andere Studien zeigten – zu weniger Altersdiskriminierung. Die Hilfe anbietende Person kann nämlich realisieren, dass sie vielleicht eine Grenze überschritten hat. Denn nicht alles, was gut gemeint ist, ist auch gut.
Diese Befunde bedeuten natürlich nicht, dass man sich gegenseitig nicht mehr helfen sollte. Wenn Hilfe gefragt oder ganz offensichtlich gebraucht wird, soll man sie auch leisten. Es braucht von uns allen aber etwas Fingerspitzengefühl, um den schmalen Grat zwischen Ignoranz und willkommener Hilfe zu erkennen.
PS: Apropos Hilfe – wussten Sie, dass sich ältere Menschen besser fühlen, wenn sie Hilfe und Unterstützung geben als wenn sie sie erhalten? Wir alle wollen gebraucht werden, das ist keine Frage des Alters.
Chasteen, A. L., Horhota, M., Crumley-Branyon, J. J., & Haseley, E. (2021). Unwanted help: Accepting versus declining ageist behavior affects impressions of older adults. Psychology and Aging, 36(6), 700–709. doi.org/10.1037/PAG0000620
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