Welche Erfahrungen machen Großmütter, wenn sich ihre Enkelkinder von ihnen loslösen?
Welche Erfahrungen machen Großmütter, wenn sich ihre Enkelkinder von ihnen loslösen?
Zusammengefasst von Carolin Eder
Welche Erfahrungen machen Großmütter, wenn sich ihre Enkelkinder von ihnen loslösen? Eine qualitative Studie über das zweite leere Nest
Immer mehr Eltern wollen Kind und Karriere unter einen Hut bringen und benötigen dabei Unterstützung. Eine wichtige Quelle dieser Unterstützung sind die Großeltern, die sich liebevoll und ohne finanzielle Gegenleistung um ihre Enkelkinder kümmern. Die bisherige Forschung zeigt, dass die Enkelkinderbetreuung trotz finanzieller und zeitlicher Belastung für die Großeltern auch positive Effekte hat, etwa eine bessere mentale Gesundheit und einen besseren Allgemeinzustand.
Diese Effekte werden dem sogenannten „empty nest“-Phänomen, dem leeren Nest, zugeschrieben. Dieses leere Nest entsteht, wenn das letzte Kind das Elternhaus verlassen hat. Die neue Lebensumstellung kann vor allem für Frauen belastend sein, die in ihrer Mütterrolle vollends aufgegangen sind. Damit sie mit dieser Umstellung gut umgehen können, müssen sie sich neue Aufgaben suchen – wie etwa die Großmutterschaft.
Doch was passiert, wenn sich auch die Enkelkinder von ihren Großeltern lösen? Die Forscher*innen Cohen et al. sprechen vom „zweiten leeren Nest“. Dieses zweite leere Nest ist negativer behaftet als das „erste leere Nest“. Nach dem Auszug des letzten Kindes – dem ersten leeren Nest – stehen den Müttern alle Türen offen: Sie können nach neuen sinnvollen Tätigkeiten zu suchen. Diese Möglichkeit ist beim „zweiten leeren Nest“ beschränkt. Denn zum Zeitpunkt des zweiten leeren Nests haben viele Großmütter gesundheitliche und finanzielle Einschränkungen. Zudem ist die Arbeit, die gesellschaftlichen Halt bieten könnte, ist dem Ruhestand gewichen. Erschwerend wird über das zweite leere Nest nicht gesprochen, es bleibt unsichtbar.
Aktuell gibt es kaum Forschung zu den Erfahrungen von Großeltern mit dem „zweiten leeren Nest“. Daher führten Cohen et al. eine qualitative Studie durch, in der elf jüdisch-israelische Großmütter interviewt wurden, die sich intensiv um ihre Enkelkinder gekümmert hatten, bevor es zu einem Ende dieser Betreuung kam. Intensive Betreuung der Enkelkinder bedeutete für diese Großmütter, dass sie sich über einen Zeitraum von mindestens zwei Jahren mindestens 21 Stunden pro Woche um ihre Enkelkinder kümmerten.
Alle Großmütter berichteten, dass es ihnen Freude bereitete, sich um ihre Enkelkinder zu kümmern. Manche fühlten sich in die Zeit zurückversetzt, als sie selbst ihre eigenen Kinder aufzogen. Sie genossen es, jetzt weniger Verpflichtungen und Belastungen zu haben. Mit den Enkelkindern konnte die Leere gefüllt werden, die der Auszug ihrer eigenen Kinder mit sich gebracht hatte.
Doch warum kam es zum Ende der intensiven Enkelkinderbetreuung? Auf der einen Seite stand die zunehmende Kraftlosigkeit der Großeltern und die zunehmende Unabhängigkeit der Enkelkinder. Andererseits entschieden manchmal die Eltern gegen eine Weiterführung der Enkelkinderbetreuung, beispielsweise aufgrund von Meinungsverschiedenheiten über die Kindeserziehung oder aufgrund eines Wohnortwechsels.
Die meisten Umstände, die das Ende der intensiven Zuwendung bedeuteten, lagen außerhalb der Kontrolle der Großmütter und waren ungewollt.
Zehn von elf Großmütter berichteten, dass sie Schwierigkeiten hatten, mit dem Ende der Enkelkinderbetreuung umzugehen. Viele empfanden ein Gefühl der Leere, das auch noch Jahre später anhielt. Sie hatten den Eindruck, dass die Enkelkinderbetreuung sie jung hielt, und das Ende dieser sie alterte. Einige Großmütter berichteten über psychische Probleme, darunter Symptome einer Depression. Dennoch hatte niemand professionelle Hilfe aufgesucht, was Cohen et al. als Bestätigung für die Unsichtbarkeit des zweiten leeren Nestes sehen.
Manche Großmütter empfanden einen Mangel an Wertschätzung für ihre Betreuung. Sie fühlten sich gekränkt, nicht mehr gebraucht zu werden und außerhalb der Enkelkinderbetreuung nicht beachtet werden. Zwei Großmütter machten ihren Enkelkindern Vorwürfe, dass sie sie nicht mehr in ihrem Leben einbinden. Andere Großmütter zeigten Verständnis für die Distanzierung der Enkelkinder.
Mit dem Ende der intensiven Zuwendung waren auch positive Gefühle verbunden. Vier Großmütter beschrieben Erleichterung, da die Enkelkinderbetreuung für sie zu anstrengend war. Fünf Großmütter waren stolz auf ihre Enkelkinder, dass sie nicht mehr auf ihre Unterstützung angewiesen waren und ihr eigenes Leben führen.
Um mit der Leere umzugehen, wenden die Großmütter aus der Studie zwei Strategien an: Verhaltensstrategien und gedankliche Strategien. Bei den Verhaltensstrategien werden neue Tätigkeiten gesucht, beispielsweise Freiwilligenarbeit. Diese Strategien wurden vor allem dann gewählt, wenn das Ende der Enkelkinderbetreuung weniger als zwei Jahre zurücklag. Bei den emotionsfokussierten gedanklichen Strategien fokussieren sich die Großmütter auf die positiven Seiten des zweiten leeren Nestes. Außerdem ziehen sie Zufriedenheit aus dem Glück ihrer Enkelkinder, und sie freuen sich über kleine Aufmerksamkeiten. Manche sehen sich auch alte Fotos an und schwelgen in Erinnerungen, um mit dem Verlust umzugehen.
Die Großmütter, die nur gedankliche Strategien anwandten, waren unzufriedener und trauriger über ihr Leben, hatten sie einen niedrigeren Selbstwert und ein negativeres Bild auf das Altern. Dieser Befund unterstützt die bisherige Forschung, dass Verhaltensstrategien im hohen Erwachsenenalter effektiver sind als gedankliche Strategien.
Die Studie von Cohen et al. intendiert, Bewusstsein für das zweite leere Nest zu schaffen. Insbesondere sollten spezifische Strategien entwickelt werden, um den Großmüttern den Übergang zum zweiten leeren Nest zu erleichtern. Außerdem werden Selbsthilfegruppen für die betroffenen Großmütter empfohlen, um das Phänomen des zweiten leeren Nests sichtbarer zu gestalten. Zu guter Letzt werden generationenübergreifende Betreuungsprogramme vorgeschlagen. In diesen könnten Großmütter, die weiterhin in ihrer Rolle als Großmutter bleiben wollen, anderen Kindern ihre Zuwendung schenken.
Cohen, Y., Spector-Mersel, G., & Shiovitz-Ezra, S. (2023). The second empty nest: The lived experience of older women whose intensive ‘grandmotherhood’ has ended. Journal of Aging Studies, 66, 101163. doi: 10.1016/j.jaging.2023.101163
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