„Graue Scheidung“ und ihr Einfluss auf die Eltern-Kind-Beziehung
„Graue Scheidung“ und ihr Einfluss auf die Eltern-Kind-Beziehung
zusammengefasst von Sofia-Marie Oehlke
Eine Scheidung ist ein einschneidendes Lebensereignis und mit zahlreichen Herausforderungen verbunden. Neben der emotionalen Belastung, muss meist ein gemeinsamer Hausstand getrennt werden oder die Eltern-Kind-Beziehung steht auf der Probe. Kinder geben vielleicht einem Elternteil die Schuld an der Trennung, beziehen Position im Konflikt der Eltern, oder mögen neue Partner*innen der Eltern nicht. Doch welchen Einfluss hat eine Scheidung auf die Beziehung zu den eigenen Kindern, wenn diese bereits erwachsen und aus dem Haus sind? Mit dieser Frage beschäftigten sich Lin, Brown und Mellencamp, ein amerikanisches Forschungsteam der Bowling Green State University Ohio.
Mehr als ein Viertel aller Scheidungen passieren nach dem 50. Lebensjahr – auch „Graue Scheidungen“ genannt. Da unsere Bevölkerung im Schnitt immer älter wird, wird auch die Zahl der grauen Scheidungen steigen. Bisherige Studien vermuten, dass auch graue Scheidungen das Verhältnis zu erwachsenen Kindern beeinflussen. Zum Beispiel: Geschiedene Väter, welche neue Partnerschaften eingehen, zeigen weniger finanzielle Unterstützung und Kontakt mit ihren erwachsenen Kindern als alleinstehende Väter. Bei geschiedenen Müttern lassen sich diese Veränderungen nicht feststellen. Warum? Forscher*innen beobachteten, dass Väter eher dazu tendieren ihre bisherigen Ressourcen neuen Partner*innen und Stiefkindern zu widmen. Darüber hinaus suchen sie vielmehr Unterstützung bei ihren neuen Lebensgefährt*innen als bei ihren erwachsenen Kindern. In Partnerschaften erfahren Frauen* durchschnittlich weniger Halt von Männern*, weshalb der Kontakt von Müttern zu den erwachsenen Kindern möglicherweise stärker gepflegt wird.
Um graue Scheidungen noch besser zu verstehen, analysierten Lin und Kolleg*innen Daten von 654 geschiedenen Eltern über 50 Jahren, die von 1998 bis 2014 an einer Gesundheits- und Ruhestandsbefragung in den USA teilnahmen. Erfasst wurden unter anderem die Häufigkeit des Kontakts zu den Kindern, die finanzielle Unterstützung der Kinder und, ob neue Partnerschaften eingegangen wurden. Die Ergebnisse der Studie bestätigen die bisherige Forschung: Graue Scheidungen gingen mit einem gesteigerten Austausch von Müttern mit ihren erwachsenen Kindern einher. Bei Vätern halbierte sich das Ausmaß des Kontakts zu den Kindern. Eine anschließende Verbesserung zeigte sich nur langsam und nur bei Vätern ohne neue Partnerschaft. Überraschend ist, dass nach der Scheidung erwachsene Kinder für kurze Zeit mehr finanzielle Unterstützung durch ihre Väter erhielten. Die Autor*innen vermuten, dass Väter dadurch ihre Schuldgefühle entlasten als auch die Rolle des Versorgers der Familie aufrechterhalten möchten.
Selbstverständlich gibt die Häufigkeit des Kontakts keine Auskunft über die Qualität und Nähe der Beziehung von Eltern zu ihren Kindern. Nichtsdestotrotz liefert die Studie spannende Erkenntnisse über den Einfluss von Scheidung – ein Lebensereignis, dass unabhängig vom Alter der Eltern und Kinder spürbare Veränderungen mitbringt. Offen bleibt, inwiefern weitere Familienmitglieder, zum Beispiel die Großeltern, von einer grauen Scheidung beeinflusst werden. Eine wichtige Frage für zukünftige Studien.
Lin, I. F., Brown, S. L., & Mellencamp, K. A. (2022). The Roles of Gray Divorce and Subsequent Repartnering for Parent-Adult Child Relationships. The Journals of Gerontology. Series B, Psychological Sciences and Social Sciences, 77(1), 212–223. doi.org/10.1093/geronb/gbab139
Podcast: „Graue Scheidung“ und ihr Einfluss auf die Eltern-Kind-Beziehung
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